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Auf die Ohren
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Leben mit Hochbegabung: Eine Biographie mit UmwegenAudio erstellt von Susanne Krüger mit Unterstützung von KI
Vielwahrnehmend. Komplex denkend. Jedoch „hochbegabt“? Dieses Wort stand im Raum wie ein Etikett, das zu groß schien. Zu elitär. Zu nerdig. Trotzdem ließ es mich nicht los. Ich wusste früh, dass ich anders war und mein Kopf in andere Richtungen dachte, schneller schaltete und tiefer grub.
Lange fehlten mir dafür Worte, die einen Rahmen bildeten, in dem ich mich sicher fühlte. Und es fehlte die Erlaubnis: Ich traute mich lange nicht, mich überhaupt auf die Suche nach dem zu machen, was nach der Hochsensibilität noch existieren könnte. Wer bin ich, dass ich so etwas in Betracht ziehe? Wie sähe mein Leben mit Hochbegabung aus, wenn es zutrifft?
Hochbegabung war für mich lange etwas, das andere betrifft. Die zum Beispiel, die mit acht Klavierkonzerte spielen oder mathematische Probleme lösen, die keiner versteht. Ich konnte schon früh mit Sprache umgehen, habe ein Gespür für Zwischentöne, verband lose Enden zu Bildern, die einen Sinn ergeben. Zugleich war ich auch die, die zu viel fragte, zu viel wusste, zu viel fühlte – und oft zu schnell war für andere.
Außenseiterin mit Leistung
Meine Erziehung zwang mich ich in ein Korsett der Unauffälligkeit. Anpassung und Funktionieren fast bis zur Selbstaufgabe wurde mein Überlebensmodus. Bereits in der Grundschule war ich Außenseiterin. Nicht, weil ich es wollte, sondern weil ich nicht wusste, wie ich dazugehören sollte. Ich wohnte zu weit entfernt, war selten eingeladen, wurde oft ausgegrenzt. Mobbing war für mich kein Wort aus Büchern – es war Alltag.
In der Schule war ich gut, das Lernen fiel und fällt mir leicht. Das machte es nicht besser. Ich war die, die immer etwas wusste, die ständig den Finger hob. Nicht, um bewusst zu glänzen, sondern weil ich nicht anders konnte. Ich hatte anfangs keinen Filter der Zurückhaltung, wenn es darum ging, mein Wissen zu teilen. Wenn ich etwas wusste, platzte es aus mir heraus. Wenn ich etwas sah, sagte ich es – und das ist bis heute so und häufig ganz schön unbequem für beide Seiten.
Später im Studium war ich weniger Außenseiterin, dafür innerlich erschöpft von all den Erlebnissen vorher. Erst heute verstehe ich die Müdigkeit: Sie entstand durch die Anpassung an den Freiraum, den ich durch den Wegfall der permanenten elterlichen Kontrolle plötzlich hatte. Dafür kamen andere Zwänge. Ich arbeitete parallel, lebte sparsam, hielt mich mit Aktivitäten zurück. Ich funktionierte jenseits meines Rhythmus. Ich lernte eine andere Weise der Anpassung und verlernte noch mehr, wie ich mich selbst wahrnehme und mir zuhöre.
Der lange Weg zur eigenen Wahrheit
Erst mit Ende dreißig stieß ich auf den Begriff Hochsensibilität. Plötzlich bekamen viele Dinge einen Sinn und Zusammenhang. Das Gefühl der ständigen Überflutung, das intensive Hören, mein hoch empfindlicher Geruchssinn, das Gespür für Räume und Stimmungen. Die erste Erleichterung, denn ich bin damit nicht allein. Etwas später begegnete ich dem Begriff Scanner-Persönlichkeit und fand mich auch darin wieder. Zugleich die altbekannte Frage: Noch so etwas Außergewöhnliches? Direkt mit im Gepäck der Zweifel, ob ich mir das einbilde.
Es dauerte weitere Jahre, bis ich mich mit dem Thema Hochbegabung beschäftigte. Auch hier war es ein einzelner Impuls, der mich auf die Suche schickte. Ich las, sah mich um und begegnete Menschen mit ähnlichen Erfahrungen. Immer wieder blitzte der Gedanke auf: Vielleicht bin ich eine von ihnen. Doch was, falls nicht? Was, wenn ich mir das nur einbilde?
Das Wagnis IQ-Test
Ich wagte den Test erst, als ich innerlich bereit war, jede Antwort zu tragen – auch ein Nein. Doch das Ergebnis war eindeutig: Hochbegabt. Nicht nur sprachlich. Auch im logisch-mathematischen Denken und in der Verarbeitungsgeschwindigkeit. Damit erklärten sich weitere Erlebnisse, die ich nie einordnen konnte: Warum ich blitzschnell Strukturen erfasse und warum ich in Gesprächen bereits weiter bin, bevor andere den ersten Gedanken formuliert haben. Auch, warum ich intuitiv das große Ganze sehe und gleichzeitig Details liebe.
Was mich rückblickend am meisten erschüttert, ist mein erster Gedanke nach dem Testergebnis: Ob das wirklich stimmt? Zum Test bin ich in höchster Anspannung gefahren, voller Zweifel, ob ich mir all das nicht nur einrede. Obwohl ich jahrelang beobachtet hatte, wie schnell ich denke und wie intuitiv ich komplexe Zusammenhänge erfasse, blieb das Misstrauen gegenüber mir selbst. Es war Schock und Erleichterung zugleich, das Ergebnis Schwarz auf Weiß zu sehen. Mein offizielles Leben mit Hochbegabung konnte beginnen.
Nicht wegen der Bestätigung, sondern weil ich so tief verinnerlicht hatte, dass meine Wahrnehmung nicht stimmen konnte. Dass ich mir meine Fähigkeiten womöglich nur zurechtgelegt hatte. Besonders Frauen kennen dieses Gefühl, an den eigenen Fähigkeiten zu zweifeln und die nagende Angst, als mögliche Hochstaplerin ertappt zu werden. Das Imposter-Syndrom nährt sich von dem Glauben, dass es noch so viel gibt, was ich nicht kann – deswegen bin ich unwissend und unfähig. Touché.
Leben mit Hochbegabung: Eine neue Route entsteht
Es war ein kurvenreicher Weg bis zur Annahme von “Mein anderes Sein im Denken und Wahrnehmen ist kein Fehler in mir, sondern meine Stärke”. Ich habe gelernt, meine Kombinationsgabe gezielt einzusetzen – in meinem Business für mich und bei der Begleitung anderer Selbstständiger.
Ich erfasse Zusammenhänge schnell, entwickle Strategien, während andere noch sortieren. So wurde ich zur Business-Kartografin für neurodiverse Soloselbstständige. Mit ihnen zeichne ich Karten ihres Business, die den Nebel lichten und den Kurs zum Ziel sichtbar machen. Es sind die Menschen, im Schwerpunkt Frauen, die tiefer wahrnehmen, mehr fühlen, anders denken. Die immer wieder an sich zweifeln, weil sie sich in bestehenden Systemen und Mustern verlieren oder hängenbleiben.
Das war kein direkter Weg. Ich brauchte Jahre, um meine Intuition wieder zu spüren und ihr zu vertrauen. Zu lange hatte ich mich auf die Ratio verlassen, aus Angst, falsch zu liegen. Ich bin viele Umwege gegangen, habe etliche Erfahrungen gemacht, die mich fast zum Aufgeben gebracht haben. Doch genau diese Umwege führten mich zurück zu meiner innere Stimme.
Halt finden
Einer der Gründe, warum mich das Segeln auf historischen Schiffen so tief berührt: Es ist eine Schule des Denkens, Entscheidens und Wahrnehmens. An Bord zahlt jedes Detail aufs Ganze ein: die Stellung der Segel, der Druck am Ruder, die Veränderung des Winds. Wahrnehmen, Erfahrung einbringen, sich vertrauen, entscheiden. Nichts getrennt betrachten, sondern das ganze System.
Das braucht Struktur und Intuition, klare Abläufe und eine Strategie. Beim Segeln lerne ich, Systeme zu überblicken, sie in Bewegung zu bringen und zu halten, ohne sie zu übersteuern. Ich treffe Entscheidungen nicht auf Basis von Vermutungen, sondern aus einer inneren Klarheit heraus: Was ist jetzt notwendig, um das Ziel sicher und effizient zu erreichen? Genau diese Fähigkeit – Dinge zu verknüpfen, Komplexität zu tragen und in Richtung zu übersetzen – nutze ich heute in meinem Business. Die Metapher ist die Praxis, aus der meine Denkweise kommt.
Mut zur Selbstdefinition
Ein Leben mit Hochbegabung ist nicht immer ein Geschenk, das sich leicht auspacken lässt. Oft ist es ein schwerer Koffer, den man jahrelang mit sich trägt, ohne zu wissen, was drin ist. Erst wenn man den Mut fasst, ihn zu öffnen, beginnt die Reise zu sich selbst. Mein Leben mit Hochbegabung ist seit der Bestätigung anders geworden. Es ist meine Art, die Welt zu sehen und zu gestalten – und ich bin bereit, den Inhalt des Koffers anzusehen und nutzen.
Genau darin liegt die Kraft – nicht nur für mich, sondern auch für die Menschen, die mit mir arbeiten. Denn wer mit seinen Gedanken in (Bilder-)Welten unterwegs ist, die andere nicht einmal erahnen, braucht Räume, in denen das möglich ist. Räume, in denen schnelles, vernetztes und flexibles Denken kein Hindernis ist, sondern ein Navigationsinstrument mit besonderer Ausstattung. Räume, in denen niemand beweisen muss, dass er genau richtig ist, wie er ist.
Wenn du diesen Text liest und ein Echo spürst – leise oder laut –, nimm das bitte an. Vielleicht ist dein eigener Koffer längst überfällig, geöffnet zu werden. Leben mit Hochbegabung bedeutet nicht, mehr oder besser zu sein als andere. Das Geschenk liegt darin, sich selbst ernst zu nehmen und den Mut zu haben, den eigenen Kompass neu zu justieren.
Wie es zu diesem Beitrag kam
Susanne Burzel initiierte Aufruf Blogparade: Meine / Unsere Geschichte mit Hochbegabung. Sie hat ein Buch geschrieben über den Weg und Leben mit Hochbegabung in ihrer Familie. Besonders lesenswert für Familien mit Kindern, die im Schulsystem scheitern. Hier geht es zum Buch: *Hochbegabt gescheitert
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